Dem Wissenschaftler ist es egal, aus welcher Bibliothek es kommt!

Bei der Verbundkonferenz des GBV wurde immer wieder ein Gedanke geäußert, der mich nachdenklich gemacht hat: dass Bibliotheken sich eher um sich selbst, als um ihre Kunden, z.B. die Wissenschaftler kümmern. Beispiel Digitalisierungsprojekte: eine Bibliothek digitalisiert und bringt diese Digitalisate auf ihre Website. Das ist natürlich sehr gut. Wissenschaftler auf der ganzen Welt können nun zur jeder Zeit darauf zugreifen.

Aber kann es nicht noch besser? Immer noch muss ein Wissenschaftler von Website zur Website springen, so wie er früher von Bibliothek zu Bibliothek reisen musste. Dem Wissenschaftler ist es letztendlich egal, aus welcher Bibliothek das Digitalisat kommt. Er wünscht sich einen Zugang zu allen ihm relevanten Digitalisate. Überregionale und themenübergreifende Portale sind also eine Antwort. Nur wird diese Antwort – und das ist nicht nur mein Gefühl, sonst hätte man bei der Konferenz nicht in verschiedenen Kontexten immer wieder davon gesprochen – von den Bibliotheken eher argwönisch betrachtet. Es gibt keine begeisterte Unterstützung dafür. Man kritisiert eher die Deutsche Digitale Bibliothek oder Europeana als dass man über die Chancen dieser Projekte redet.

Das ist einerseits verständlich. Durch ein Bibliotheksportal kann sich die Bibliothek profilieren. Sie kann zeigen: „Schaut her! Wir haben diese tollen Digitalisate! Wir sind eine tolle Einrichtung!“ Eine Bibliothek, die nicht Marketing in eigener Sache führt hat verloren. Gerade heute ist ein Artikel in der FAZ über Ressourcenmangel bei der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Auch hier wird auf die Digitalisierungsprojekte verwiesen, Projekte, die wissenschaftlich wirklich hochinteressant und wichtig sind, Projekte, die unbedingt gefördert werden müssen.

Diese Profilierung, gerade wenn es um das Lockermachen von Personal und Geld geht, geschieht, indem man sich von anderen Bibliotheken abgrenzt, indem man zeigt, dass man mehr macht, es besser macht als eine andere Institution, die auch im Konkurrenzkampf um die beschränkten Ressourcen steht.

Ich will gar nicht sagen, dass eine Bibliothek nicht ihre eigenen Digitalisate auf ihrer Website darstellen soll. Portalsoftware für Digitalisierungsprojekte, sei es Visual Library, sei es Goobi, sei es irgendeine andere Software, bieten diese Möglichkeit und es wäre dumm, sie nicht einzusetzen. Aber man kann und sollte mehr tun!

Es ist schön, wenn man sagen kann: „Wir haben diese tollen Digitalisate!“ Noch besser ist: „Auf unsere tollen Digitalisate wird n-mal zugegriffen!“ Was bringen die schönsten Digitalisate auf der Bibliothekswebsite, wenn keiner sie benutzt? Richtig unersetzlich macht man sich, wenn man beweisen kann, dass man tatsächlich genutzt wird. Also sollte man sich fragen: „Wie kann ich den Zugriff erhöhen? Wie kann ich mehr Leute dazu bewegen, auf die Digitalisate zuzugreifen?“

SEO gehört dazu. Natürlich will man in Google gefunden werden! Aber wenn es um die Wissenschaftler geht, muss mehr als SEO gemacht werden. Das lässt sich am besten realisieren, indem man dem Wissenschaftler etwas gibt, was er braucht: alles an einer Stelle mit wirklich sinnvollen Tools. Und dieses „alles an einer Stelle“ ist nur möglich, wenn man mit anderen Institutionen zusammenarbeitet. Das ist schwierig, wenn man gleichzeitig im Konkurrenzkampf ist und sich von anderen abgrenzen möchte.

Leider geht der Konkurrenzkampf weiter wenn es um diese Portale geht. Machtspielchen werden gespielt. Zum Beispiel werden die „Großen“, die mit den meisten Digitalisaten und Digitalisierungsprojekten bestimmen wollen, wie das Werkzeug für die Wissenschaftler auszusehen hat. Die anderen müssen es abnicken oder sie bleiben draußen. Und die, die gar nicht digitalisieren, aber sich mit Portalsoftware auskennen (z.B. Verbundzentralen) werden oft ignoriert oder gar bekämpft (denn Verbundzentralen sind ja auch Konkurrenten im Kampf um Ressourcen).

Ich will jetzt gar nicht anfangen von der Profilierungssucht mancher Bibliotheksdirektoren oder -Direktorinnen. Denn dann ist der Vergleich mit dem Dschungel nicht mehr weit.

Jedenfalls glaube ich, dass wenn man sich bei den Wissenschaftlern unersetzlich macht – und das kann keine Bibliothek alleine – viel mehr gewonnen wird, als wenn man erstmal an sich und die eigene Institution denkt.